Vielleicht habt Ihr ja das Interview in der letzten Ausgabe des Legacy-Magazins gelesen und
Euch gedacht „Da muss doch noch mehr gehen!“ Genau, ging auch, und deshalb könnt Ihr hier nun
noch die ungekürzte Version der ausführlichen Fragerunde mit Chriz nachlesen.
Ihr befindet euch gerade in der Hochphase der Promo-Arbeit zum neuen Album. Eher ein lästiges Übel,
oder macht es gar ein wenig Spaß, die ersten Reaktionen aufzusaugen?
Schöner als Promo ist so gut wie nichts. Auch wenn es früher mehr Koks und Nutten gab.
Wir müssen zu Beginn das Genre zumindest ansatzweise klären. Kommt ja nicht oft vor, dass man
sich mit einem Genre-Begründer unterhalten kann. Kammermusik-Core habt ihr als eigene Definition
gewählt. Könnt ihr das nach fast 20 Jahren Bandbestehen immer noch unterschreiben?
Das Schlagwort „Kammermusik-Core“ wurde damals erdacht, weil man als Band zwangsläufig immer wieder
nach einer griffigen Schublade gefragt wird. Wir haben uns davon aber mit den Jahren gelöst. Am liebsten
wäre es uns, wenn sich die guten Leute einfach die Musik anhören und sie abfeiern oder hassen würden – egal,
welches Genre-Etikett draufklebt. Von unserer Seite aus wird die Bezeichnung nicht mehr groß verwendet,
es sei denn als letzter Ausweg, wenn uns jemand das Messer an die Kehle hält und fordert, dass wir mit
einem Wort erklären, was wir für Musik machen.
Ihr fühlt euch aber auch inmitten der ganzen Mittelalter-Bands sehr wohl?
Wir fühlen uns mit Bands wohl, die ehrliche, handgemachte Musik machen, und verbringen gerne Zeit
mit netten Kollegen. Mit Mittelalter haben wir per se gar nichts zu tun. Weder nutzen wir alte Melodien
noch historische Instrumente. Die Szene ist aber eben sehr offen für Musik mit Streichinstrumenten.
Die Letzte Instanz ist ja auch relativ schnell unter Dudelsäcken gelandet. Da ich bereits mittelalt bin
und es kostengünstigen Hörschutz gibt, waren die Touraktivitäten mit verschiedenen Speluden bisher
auch tatsächlich sehr angenehm.
Zum zweiten Mal hintereinander steht mit „Fünf“ eine EP in den Regalen. Wagt ihr euch nicht
gerne an ein vollständiges Album, oder sind die Songs so zeitintensiv,
dass ihr euch leichter auf eine EP fokussieren könnt?
Wir sind keine Vielschreiber. Das stimmt schon. Dafür hat dann aber auch jeder Song seinen eigenen Charakter.
Bei „Fünf“ fand eins zum anderen. Das Konzept erwuchs quasi aus der Arbeit am Material, und wir
hatten irgendwann einfach das Gefühl, dass diese fünf Stücke zusammengehören und ein stimmiges Gesamtpaket bilden.
Ihr seid nach den letzten beiden Alben auch für „Fünf“ beim Produzenten Markus Stock geblieben.
Never change a winning team?
Tatsächlich hat Markus ein sehr gutes Gespür dafür, wo wir klanglich hinwollen. Die Geigen und das
Cello werden bei ihm nicht sterilisiert, sondern klingen lebendig und im richtigen Maße roh,
Gitarren und Bass drücken, das Schlagzeug ballert – darüber hinaus ist das Arbeitsklima in der
Klangschmiede auch extrem entspannt, dabei aber immer produktiv.
Gab es trotzdem Unterschiede in der Produktion oder der Herangehensweise?
Wir hatten die Streicher die letzten Male immer als Gruppe gemeinsam eingespielt.
Diesmal haben wir die drei Stimmen einzeln aufgenommen. Die anfänglichen Bedenken,
das Ergebnis könne weniger homogen klingen, wichen schnell der Freude über die Vorteile.
Es war viel einfacher, spontane Ideen wie die Hitchcock-Gedächtnis-Geigen in ‚Unter Geiern‘
rasch auszutesten und umzusetzen, und im Mix ist es angenehm, wenn man jede einzelne Spur für
sich anpassen kann. Ich habe auch das Gefühl, dass wir diesmal mehr Zeit auf den Gesang verwendet
haben, um den jeweils richtigen Ausdruck zu finden. Der größte Unterschied ist allerdings die
Gitarrenarbeit von Juli, der erstmals mit im Studio war und die Songs mit seinen ausgefeilten
Arrangements extrem bereichert hat.
Ihr benennt die fünf Songs als fünf Stimmungsbilder. Für mich stellt die Anordnung sowohl
musikalisch als auch thematisch viel mehr ein gewolltes Gesamtbild dar. Ist es verkehrt,
zu behaupten, dass hier eine durchgehende Story erzählt wird?
Es gibt tatsächlich einen gewissen Rahmen, der diesmal deutlicher erkennbar ist als die Grundgedanken
früherer Veröffentlichungen. Eine durchgehende Geschichte sehe ich nicht, aber wer sie heraushört,
darf das gerne tun. Festgelegt ist im Grunde nur das ‚Willkommen‘ in einer kaputten Welt und der ‚Abgesang‘,
der persönliche Abschied, der in einem Jenseits endet, das nur einen Schluss zulässt: „Verdammt, ich will zurück!“
Die Welt geht vor die Hunde? Mag sein, aber bis der Ofen aus ist, hat das Leben immer noch jede Menge
Schönes zu bieten. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren. Tot sein ist wahrscheinlich eher langweilig.
„Werte müssen zerbrechen“ heißt es im ersten Stück ’Willkommen’. Gibt es überhaupt
noch Werte in unserer egoistischen Gesellschaft?
Dass du diese Frage stellen musst, spricht für sich, oder? Leider sind viele wichtige Werte keine
Selbstverständlichkeit mehr. Wir führen Wertediskussionen, teilweise tragen die falschen Leute
gar nicht so falsche Werte vor sich her, um gänzlich falsche Agitation zu betreiben. Denen sollte
man diese Werte mal ordentlich um die Ohren hauen. Und wenn sie dann auch noch mit Moral kommen,
wird es ganz kritisch. Die selbsternannten Hüter der Moral handeln oft selber unmoralisch, nutzen
ihre Dogmen aber, um andere Menschen auf Linie zu halten. Es ist gesund, wenn wir gezielt an
Werten und Moralvorstellungen rütteln. Dabei entlarvt man die Heuchler.
’Todestheologie’ könnte man auch mit „Ich glaube an nichts“ zusammenfassen...
Der Song ist ein Aufruf dazu, hier und jetzt zu leben. Ich hoffe, dass nach dem Ableben irgendetwas kommt,
aber ich bin überzeugt, dass es Unfug ist, auf ein Paradies zu warten, das uns befreit, beglückt
oder belohnt. Das Leben tobt hier und jetzt. Selbstmordattentäter verpassen durch ihre Tat mehr,
als sie im Jenseits gewinnen. Auch wer sein Dasein zwischen Idioten-TV und Konsumterror verdaddelt,
bekommt höchstwahrscheinlich keine zweite Chance. Mir ist es letztlich egal, ob jemand Romane schreibt
oder begeistert an alten Autos herumschraubt. Hauptsache, er lebt bewusst, hat eine Passion und lässt
sich nicht von der großen Gleichmachmaschine zurechtstutzen.
Es passt aber auch hervorragend zu dem ganzen Terror in der Welt.
Welchen Terror meinst du jetzt? Den Terror uneingeschränkter Erreichbarkeit? Den Terror der täglichen
Flut an überflüssigen Informationen? Den Terror von Klappspaten, die ihr Mittagessen und die
Windeln ihrer Kinder auf Facebook teilen? Ich will das Grauen terroristischer Anschläge bestimmt
nicht relativieren, das Perfide ist ja aber, dass es mindestens 50 Shades Of Terror gibt. Das ist ein
Zeichen unserer Zeit, und ich habe das Gefühl, dass eins mit dem anderen zusammenhängt. Terroristen
waren schon immer darauf aus, medial wahrgenommen zu werden. Ein Terrorakt, über den niemand berichtet,
wäre ein Desaster. So gesehen war Terror noch nie so effizient wie heute. Zumindest den Alltagsterror
kann man ja aber ausschalten. Lasst mal das Smartphone zu Hause, und schaut Euch um!
Bei ’Unter Geiern’ räumt ihr auf mit der Plastikgesellschaft, den ganzen falschen Spiegelbildern.
Dabei wird der Refrain so emotional aus den Lungen gebrüllt, dass man meinen könnte, ihr wollt,
dass der Song in Hollywood gehört wird.
Hollywood ist nur ein Bild für die Industrialisierung der Kultur – nicht nur im Sinne von Kunst.
Analogkäse, cineastisches Fastfood und Musik aus dem Business-Generator: Das ist doch irgendwie
alles eins. Wenn ich mir ansehe, was sich teilweise auf den Bühnen von Veranstaltungen abspielt,
die sich als alternativ und andersartig ausgeben, dann kriege ich einen dicken Hals. Wer braucht
irgendwelche aufgestylten Typen, die den halben Sound vom Band kommen lassen? Manchmal habe ich
das Gefühl, die Leute haben Angst vor allem, was aus natürlichen Zutaten besteht – auch musikalisch.
Musik hat bitte schön leicht konsumierbar zu sein, wie auf der CD zu klingen und mit Zirkuseinlagen aufzuwarten.
Bezugnehmend auf den gleichnamigen Song: Wer ist für euch der wahre Antichrist?
Das Doofe am Antichristen ist ja, dass er sich ungern zu erkennen gibt. Ich habe als Pubertierender
mal mit einem Freund versucht, ihn herbeizurufen. Da kam aber niemand. Immerhin hatte ich hinterher
Schiss, in dem Zimmer zu schlafen. Wahrscheinlich steckt das Böse vor allem in uns selbst,
und wir sollten zusehen, dass wir es in Schach halten.
Ist der ’Abgesang’ an die komplette Menschheit gerichtet?
Nein. Für mich ist das eine persönliche Bilanz. Die letzte Reise ist im Gange, und die Gedanken an das,
was war, blitzen auf. Es war kein Zuckerschlecken zu leben. Es schien sogar aussichtslos. Am Ende
sitzt der Protagonist in den Wolken und schaut auf die Lebenden herab. Da wird ihm bewusst,
dass er es verbockt hat. Leider hat er vergessen, die Reinkarnation zu buchen…
Das ist zumindest meine Wahrnehmung des Textes.
REMEMBER TWILIGHT ist keine massenkompatible Band im Sinne des Mainstreams.
Fällt es daher schwerer, Auftritte zu bekommen?
Wir könnten es uns leichter machen, wenn Timo endlich anfangen würde, mehr über sein Herz, seinen Schmerz,
Engel, Schwingen, Flammen und all den anderen Kram zu singen, die andere Bands in ihren Textgeneratoren
bereithalten. Ich habe darauf aber keine Lust. Ich muss schon manchmal schmunzeln, wenn ich lese,
welche Bands teilweise rausposaunen, wie individuell und kompromisslos ihre Musik sei. Wir sind in
der glücklichen Lage, wirklich tun und lassen zu können, was wir wollen. Natürlich freuen wir uns
trotzdem über jeden Gig, der dazu kommt.
Wobei der Live-Markt so oder so völlig am Boden bzw. von den Giganten dominiert ist.
Selten bleibt da viel für die restlichen Bands übrig. Wie seht ihr das?
Es gibt Festivals, die alle zwei Jahre wieder die gleichen Bands buchen. Das ist natürlich ziemlich öde,
aber noch geht die Rechnung auf, und die Tickets gehen weg. Ich hoffe ehrlich gesagt immer noch,
dass die Übersättigung mit dem immer gleichen Einheitsbrei dem Untergrund irgendwann wieder Zulauf
bescheren wird und sich eine neue Musikkultur im Kleinen etabliert.
Ihr seid sieben Bandmitglieder. Ich kenne einige Bands, die mit vier Besetzungsmitgliedern schon
sehr beschäftigt sind, alle Meinungen und Einflüsse unter einen Hut zu bekommen.
Lähmt die große Anzahl manchmal den kreativen Prozess, oder hilft es eher?
Was zählt, ist am Ende der Song, und die Ideen, die eingebracht werden, folgen eher dem gemeinsamen Ziel
als dem Anliegen persönlicher Verwirklichung. Zu Handgreiflichkeiten kommt es nur selten. Tatsächlich
scheinen gute Ideen auch meistens mehrheitsfähig zu sein. Wir probieren alles aus. Wenn es passt,
wird es umgehend integriert. Wenn nicht, dann hat sich so ein Vorschlag schnell erledigt, und der
Ideengeber muss für den Rest der Probe eine Kappe mit Eselsohren tragen. So funktioniert Qualitätssicherung.
Die nächste Veröffentlichung: EP oder LP?
Warten wir’s ab. Vielleicht ist der Musikmarkt bis dahin ja auch vollends im Eimer? Dann veröffentlichen
wir die neuen Songs illegal als Download auf einem russischen Server und verklagen uns selbst, was
uns auch mehr mediale Aufmerksamkeit einbringen dürfte. Vielleicht sollten wir auch nur unsere Geigerinnen
zum Download anbieten. Die sind allerdings sehr empfindlich, wenn man entsprechende Andeutungen macht.
Famous Last Words?
Chriz: Kunst muss nicht weh tun. Aber ein bisschen zwicken sollte sie schon.
Timo: Ich schließe mich meinem Verteidiger an und möchte dem nichts hinzufügen.
Interview geführt von Patrick Christ (Legacy)